FOTOGRAFISCHE ANATOMIE DES ABSURDEN
Ein Gemälde und fünf Fotografien davon (oder daraus) bilden die hier gezeigte Serie „Fotografische Anatomie des Absurden“. Es ist der Versuch, dem Original in seiner strukturellen Vielfältigkeit näherzukommen, es gleich einem chirurgischen Eingriff mit dem Mikroskop zu sezieren.
Die Fotografie hat einen ambivalenten Charakter. Einerseits hält sie die Wirklichkeit fest, leblos und steril. Andererseits, und das zeigt sich hier in seiner hervorstechendsten Form, kann sie die Wahrnehmung der Wirklichkeit neu interpretieren, sie imaginativ und spannungsreich aufladen.
Heute durchdringt Reproduktivität zahlreiche Lebensbereiche und stellt sich vehement vor die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die eigenen Sinne. Handyaufnahmen von Konzerten bei gleichzeitiger Konzentration auf die Kopie statt auf das Original, der Primat des Fotografierens von Landschaften vor dem kontemplativen Genuss des Originals, sind Zeugen einer Kultur der scheinbar immerwährenden Verfügbarkeit von
(reproduzierten) Wirklichkeiten. Die Serie „Fotografische Anatomie des Absurden“ erhebt die Reproduktion zu einer eigenständigen, aus ihrer Sicht besseren und eindringlicheren Wahrnehmung des Originals.
Das Gemälde „Absurd“ ist auf den ersten Blick ein abstraktes Sammelsurium an Farb-, Form- und Flächenverläufen. Der zweite Blick offenbart einzelne Strukturen von eigenständigem Charakter, einem Wimmelbild gleich. Die fotografischen Detailreproduktionen liefern den dritten Blick, eine Perspektive auf Strukturen, die mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbar sind.
Tiefe Risse, kraterartige Formationen, Farbsprenkel, mäandernd gleich einem Flussbett. Fünf Fotografien zeigen surreale Landschaften in knalligen Farben und harten Kontrasten. Es sind extrem vergrößerte Detailaufnahmen eines Gemäldes. Reproduktionen des Originals mit eigenständigem Kunstcharakter.
Die durch das Auge der Fotografen ausgewählten Detailaufnahmen aus dem Gemälde arrangieren die Szenerie neu und schaffen weit mehr als deren bloße Abbildung. Die Reproduktionen interpretieren das Original um, überbieten es und eröffnen durch ihre Abgeschlossenheit eine eigenwertige Wahrnehmung als „originales“ Kunstwerk.
Wir leben in einer zwiespältigen Welt. Einerseits sind wir informierter als je zuvor, alle Kenntnis dieser Welt scheint uns offenzustehen. Und doch (oder deswegen) bleiben wir nur zu oft an der Oberfläche und haben keine Zeit für tiefergehende Betrachtungen und ausgewogene Urteile.
Den Vorwurf der Oberflächlichkeit kann man diesem Gemälde nicht machen, die Reproduktionen lassen dies aber so wirken. Sie erkennen und offenbaren Details in Farben, Form und Struktur, die der Maler zwar kreiert, jedoch so nicht intendiert hat. Erst die Reproduktionen machen sichtbar, was in der großen Struktur verschwindet, gleichsam negiert wird. Ist das große Ganze zu verstehen ohne die Kenntnis über die kleinen Strukturen, die Details? Oder hinterlässt die Komplexität nach dem dritten Blick eine konfuse Verwirrung, die die Oberflächlichkeit als bevorzugte Wahrnehmung in den Vordergrund treten lässt? Oberflächlichkeit kann Vorwurf sein genauso wie notwendige Abstrahierung, um den Blick auf das große Ganze nicht zu verlieren.
Heute durchdringt Reproduktivität zahlreiche Lebensbereiche und stellt sich vehement vor die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die eigenen Sinne. Handyaufnahmen von Konzerten bei gleichzeitiger Konzentration auf die Kopie statt auf das Original, der Primat des Fotografierens von Landschaften vor dem kontemplativen Genuss des Originals, sind Zeugen einer Kultur der scheinbar immerwährenden Verfügbarkeit von
(reproduzierten) Wirklichkeiten. Die Serie „Fotografische Anatomie des Absurden“ erhebt die Reproduktion zu einer eigenständigen, aus ihrer Sicht besseren und eindringlicheren Wahrnehmung des Originals.
Absurd, 2018, Mischtechnik auf Leinwand, 80x100cm
Fotografische Anatomie des Absurden I-V, 2019, Fine Art Print auf Alu-Dibond hinter Acrylglas, 80x100cm
Fotografien von Louise Amelie & Aljaz Fuis
Alle Bilder finden Sie auch im Ausstellungskatalog (PDF).
Ausstellung 02/2019-10/2020
in der Klinik Garbátyplatz, Garbátyplatz 1, 13187 Berlin